Die
Neujahrsnacht bringt der kleinen Erzgebirgs-Stadt Schlettau eine
stinkende Überraschung: Aus dem Gärtank einer Biogas-Anlage
laufen
schätzungsweise 100.000 Liter vergorene Gülle aus. Betriebe
werden
überflutet, Straßen müssen stundenlang gesperrt werden.
O-Töne: Sindy
Kolibius-Böttcher
"Für
mich lebt das Zeug, was dort drinne ist, mich ekelt das massiv
mittlerweile. Ich kann nichts mehr essen, hab drei Kilo abgenommen.
Einfach nur Ekel."
100.000 tausend Liter Gülle ergossen sich in
der Silvesternacht über das Gewerbe- und Neubaugebiet von
Schlettau.
Die braune Masse schoss aus einem defekten Behälter einer
Biogasanlage,
die alternativen Strom ins Netz einspeist. Auch der Rohbau von Sindy
Kolibius-Böttcher wurde überflutet.
"Das kam dann von oben nach
unten geschossen über die Firmengelände weg bis zu unserm
Haus. Hier
über die Strasse. Übers Feld. Und wir waren praktisch das
Auffanglager
für die Gülle."
Vergangenen Donnerstag: Ortstermin mit Bauleiter
Günter Läßig. Auch vier Tage nach der Katastrophe ist
der Boden noch
voller Fäkalien. Wie stark hat sich die Gülle ins Mauerwerk
gefressen?
Welche Keime lauern hier? 150.000 Euro hat die junge Familie in den Bau
und das Grundstück investiert. Der Experte bestätigt ihre
schlimmsten
Befürchtungen.
O-Ton: Günter
Läßig, Bauleiter
"Ich
sag mal bautechnisch, man müsste das wirklich abreißen, neu
aufbauen.
Es kommt jetzt drauf an, was die Gutachter sagen, ich kann Stück
für
Stück Wände erneuern, Boden aufmachen, die Schweißband
rausnehmen aber
das wird wahrscheinlich von Kosten her unerheblich her vom Neubau
abweichen."
Zur gleichen Zeit untersuchen Gutachter des
Herstellers und der Versicherungen den defekten
Güllebehälter. In
diesem wird aus Gülle Gas gewonnen, das einen Stromgenerator
antreibt.
Rätselraten bei den Experten - kann sich das Unglück
wiederholen? Klar
ist bis jetzt nur, dass ein Reinigungsstopfen sich gelöst hatte.
Der
Betreiber der Biogasanlage, Walter Viertel, möchte nicht auf dem
Millionenschaden sitzen bleiben. Für ihn und 35 Angestellte geht
es um
die Existenz. Er sieht die Verantwortung beim Hersteller der
Güllekessel.
O-Ton: Walter
Viertel, Erzgebirgischer Wirtschaftshof
"In
Frage kommt der jenige, der das gebaut hat. Denn es ist noch relativ
neu, reichlich zweieinhalb Jahre alt und dann darf es in der Zeit noch
nicht verschlissen sein."
140 größere Biogasanlagen gibt es
allein in Mitteldeutschland und die meisten sind nicht älter als
die in
Schlettau. Es sind vor allem landwirtschaftliche Betriebe, die damit
nicht nur ihre Abfall-Probleme lösen, sondern auch am produzierten
Strom verdienen.
"Wir machen hier im Prinzip doch eine gute
Sache. Wir machen einen so genannten grünen Strom und das ist doch
wahrscheinlich die Zukunft. Vielfach ist es ja so, dass erst was
passieren muss, damit draus lernt, ist bei jedem Flugzeugabsturz so."
Tatsache
ist: Biogasanlagen unterliegen den unterschiedlichsten Gesetzen und
Verordnungen von zig Fachbereichen. Doch spezifische Richtlinien und
Kontrollvorschriften: Fehlanzeige!
Vor zwei Monaten -
Rhadereistedt in Niedersachsen. Hier werden, anders als in Schlettau,
nicht nur Pflanzenreste, sondern auch Lebensmittel- und
Schlachtabfälle
verwendet. Am 08. November kommen hier vier Menschen ums Leben. Eine
Ladung stark schwefelhaltiger Tierreste sorgt in der Grube mit anderen
Abfällen für eine fatale chemische Reaktion. In Sekunden
füllte ein
tödliches Gas die Halle. Der Betriebsleiter, ein LKW-Fahrer und
zwei
Arbeiter hatten keine Chance.
Ohne Atemschutz hätte der Rettungseinsatz auch für
Feuerwehrmann Jörg Kruse-Schalm ein tödliches Ende genommen:
O-Ton: Jörg
Kruse-Schalm, Feuerwehrmann
"...die hatten keine Chance."
Betriebsleiter
Holger Schneider kannte die Anlage wie kein anderer. Der gebürtige
Magdeburger vertraute den Sicherheitsstandards. Ehefrau Regina bekommt
die Schreckensnachricht am Unfallort, darf aber nicht zu ihrem Mann.
Der
Tod von Holger Schneider und seinen Kollegen wird von mehreren
Instituten untersucht. Erste Gutachten bringen ein erstaunliches
Ergebnis - die Abfälle, die zusammen die tödliche Reaktion
hervorriefen, waren freigegeben. Betreiber Heinrich Köhnken ist
sich
keiner Schuld bewusst.
"Die Stoffe, die angemeldet waren genehmigt... alles so gebaut. Das
hätte in jeder Anlage passieren können."
Unglaublich:
ein katastrophaler Unfall, bei dem niemand etwas falsch gemacht haben
will. Regina Schneider und ihre drei Kinder sind angesichts solcher
Erklärungen einfach nur fassungslos. Immerhin: In Niedersachsen
wurden
nach der Katastrophe sofort Konsequenzen gezogen. Nicht nur die
Abfälle
kommen auf den Prüfstand - auch die Anlagen selbst werden unter
die
Lupe genommen - es gelten bereits schärfere Richtlinien.
Soweit ist man in Sachsen
lange
noch nicht - Zurück nach Schlettau. Noch am Freitag vergangener
Woche
spricht das Umweltministerium von einem Einzelfall. Akuten
Handlungsbedarf gebe es nicht Gestern Nachmittag - auf Anfrage von
Exakt - dann die Überraschung. Ein Gutachter des Anlagenbauers
räumt
ein: eine defekte Dichtung sei die Ursache des Gülleunfalls - und
weiter heißt es:
Zitat: "Folgen für andere Biogasanlagen:
Sämtliche in Biogasanlagen eingebaute Ringraumdichtungen sind
einer
Nachkontrolle zu unterziehen."
Für Familie Kolibius-Böttcher
kommt diese Erkenntnis zu spät. Sie kann jetzt nur noch auf eine
schnelle Einigung mit der Versicherung hoffen.
O-Ton: Sindy
Kolibius-Böttcher
"Wenn das Ganze vor Gericht
endet ...das wäre das schlimmste überhaupt."